FORUM ZUR
AUFKLÄRUNG
UND ERNEUERUNG
 
 


Reinhard Dobrinski, Christiane Gumpert
FORUM zur Aufklärung und Erneuerung e. V.


Redebeitrag anläßlich des Kongresses der Stasi-Landesbeauftragten und der
Stiftung zur Aufarbeitung der Folgen der SED-Diktatur vom 27.-28.5.2011 in Dessau „Der lange Schatten der Mauer“ – ein zeitgeschichtlicher Rückblick

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit nur wenigen Worten wollen wir den Kongressteilnehmern unseren Verein vorstellen. Es war die „Tribunalidee“ namhafter Bürgerrechtler (nachzulesen auf unserer Homepage), die 1992 die Grundlage der Vereinsgründung bildete, aber alsbald wegen Abkehr der Ideenträger aufgegeben wurde. Der Verein stützt sich in seinem Wirken bei der historischen und juristischen Aufarbeitung der DDR-Diktatur von Anbeginn ausschließlich auf das ehrenamtliche Engagement.

Am Datum 13. August 1961 und am 50sten Jahrestag kommt in diesem Jahr keiner vorbei. Aus unserer Sicht haben wir es mit einem herausragenden Verbrechen des Kommunismus unter dem Vorzeichen des proletarischen Internationalismus in der europäischen Nachkriegsgeschichte zu tun, dem Bau der Berliner Mauer und der Errichtung der Befestigungsanlagen an der innerdeutschen Grenze.

Die Denkfabriken der SED, angefangen vom Zentralinstitut für Marxismus-Leninismus, über die Akademie für Gesellschaftswissenschaften bis hin zum Institut für Staats- und Rechtstheorie, versahen die DDR mit dem Heiligenschein des Antifaschismus, um sie als alleinige Alternative zur Bundesrepublik Deutschland, die sie des Neofaschismus bezichtigten, zu präsentieren. Die diesbezüglichen Denkansätze und -strategien der Koryphäen der Geisteswissenschaften in der DDR füllen Bände.

Es sei hier nur aus einer Arbeit von Prof. Dr. Peter Alfons Steiniger 1), dem Direktor des Instituts für Staats- und Rechtstheorie und Professor für Völkerrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin, zitiert. Diese Arbeit liefert die theoretische Vorlage für das anti-faschistische Handlungsgebot der DDR lieferte, die die Teilung einer Stadt - und in innerdeutscher Dimension eines Volkes - rechtfertigen sollte. In jedem Fall war Prof. Steiniger unfehlbar, wenn er sich (und das gehörte zum Credo der DDR-Gesellschaftswissenschaften) auf Walter Ulbricht bezog. Und er tat es mit üblicher Hingabe:

„Bei der Beantwortung von Fragen im Dresdner Forum erklärte Walter Ulbricht am 26.6.1959: ‚Bonn besitzt ein eigenes Patent der Faschisierung. Es handelt sich um ein Gemisch von Militarismus und politischem Klerikalismus. Dieses Bündnis des Militarismus mit dem politischen Klerikalismus wurde für den deutschen Militarismus notwendig, weil der Nazismus in den Augen der Völker der Welt und des deutschen Volkes durch seine ungeheuerlichen Verbrechen diskreditiert ist und Bankrott gemacht hat. Über den Klerikalismus bestand nach 1945 für den deutschen Imperialismus noch die einzige Möglichkeit, eine bestimmte Massenbasis zu erlangen. Von dieser Stelle her erwarten die Millionen Gläubigen in Westdeutschland am wenigsten den Faschismus.’“ 2)
Dass die Bürger der DDR zu einem ganz anderen Ergebnis kamen, zeigte der Massenexodus, der in den Monaten und Tagen vor dem 13. August 1961 zum Exitus zu werden drohte.

Die Ursachen dieser Abstimmung mit den Füßen entzogen sich den auf den Marxismus- Leninismus gestützten DDR-Wissenschaften. Den eigenen politisch-ideologischen Wahnvorstellungen entsprang dann auch die politische Verkündung, dass es sich bei der Berliner Mauer um einen antifaschistischen Schutzwall handele.

Die heutigen Vertreter der Politik- und historischen Wissenschaften haben sich in der Frage, wer denn nun für den Bau der Berliner Mauer verantwortlich sei, entzweit. Zu gern jedenfalls wird aus unserer Sicht auf Moskau verwiesen. Den SED-Eliten kommt das natürlich entgegen, weil sie damit für sich auf einen politischen „Befehlsnotstand“ verweisen können.

Das Gegenteil belegen andere Quellen. Selbst der Dietz-Geschichtskalender 1986 verweist auf die geistige Urheberschaft Walter Ulbrichts für die DDR-Grenzsicherungsmaßnahmen und die Erich Honecker obliegende Verantwortung für die Organisation:

„Anfang August beschlossen auf Vorschlag der DDR die Warschauer Vertragsstaaten die Durchführung erforderlicher Sicherungsmaßnahmen. Die Ministerien des Innern und für Verkehrswesen sowie der Oberbürgermeister von Groß-Berlin, Friedrich Ebert, erließen die entsprechenden Ausführungsbestimmungen. Am 12. August, 16.00 Uhr, unterzeichnete Walter Ulbricht die Einsatzbefehle. Die Organisation übernahm der Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates, Erich Honecker.

In der Nacht zum 13. August liefen blitzartig und mit äußerster Präzision die Schutzmaßnamen an: 0.00 Uhr Veröffentlichung der Moskauer Erklärung der Warschauer Vertragsstaaten und des DDR-Ministerratsbeschlusses. Beginn der Grenzsicherungsaktion mit Alarmauslösung für die bewaffneten Kräfte der DDR. Der Traum der kalten Krieger, die Bundeswehr ‚mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen durch das Brandenburger Tor einmarschieren’ zu lassen, ist geplatzt. Für alle diejenigen, die die DDR als Provisorium betrachtet haben, schlug am 13. August 1961 die Stunde der Wahrheit.“ 3)

Wir reden hier über eine Staatsgrenze eines Landes, das sich der fortschrittlichsten Welt zurechnete, aber den Bruch vollzog mit der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 und dem Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte. Die dort verankerten Grund- und Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person wurden einem menschenverachtenden Grenzregime geopfert.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Straßburg, hat mit seinem Urteil vom 22. März 2001 4) in Sachen Streletz, Kessler und Krenz gegen Deutschland den Bruch mit den völkerrechtlichen Normen bestätigt und zugleich darauf verwiesen, dass seitens der Straftäter gegen DDR-Verfassung und Gesetzlichkeit verstoßen wurde. Ein Armutszeugnis für die SED-Eliten, denn ihnen wurde damit Unkenntnis der eigenen Verfassungs- und Rechtslage nachgewiesen.

Grenzsicherungssysteme, die auf eine perfide Einheit von Mensch, Technik und Tier bauten, machten die 110 000 km² der DDR zu einem Staatsgefängnis. Kalaschnikows, gemeint sind die Vollstrecker des Schießbefehls, Stacheldraht- und Streckmetallzäune, Selbstschußanlagen, Minen, Wachhunde und Cäsium-137-Strahlenquellen an den Pass-Kontrolleinheiten (PKE) 5) zur Verhinderung von Personenschleusungen (für Historiker und Politologen bis heute eine Tabuthema!), vermochten jedoch die deutsche Einheit nicht aufzuhalten. dazu: Anmerkung vom 15. 8. 2011

Dieser Tage waren die Straftäter Streletz und Kessler bemüht, mit ihrem literarischen Lebenswerk die „Wahrheit“ um dieses Geschehen zutage zu fördern. Dazu gehört, dass auch sie die Verantwortung für Mauer und Befestigungsanlagen an der deutsch-deutschen Grenze nach Moskau auszulagern suchen. Warten wir also geduldig auf das, was die Archive noch verborgen halten.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.



1) Peter Alfons Steiniger: West-Berlin. Ein Handbuch zur Westberlin-Frage,
Kongress-Verlag Berlin 1959, S. 216
2) Neues Deutschland vom 27.6.1959
3) Dietz-Geschichtskalender 1986, Dietz Verlag
4) Beschwerden-Nr. 34044/96, 35532/97, 44801/98
5) Der gesetzwidrige Einsatz dieser MfS-/OTS-Geräteeinheiten (ohne Bauartzulassung) endete
nach Dokumentenlage beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen im IV./1989

Anmerkung vom 15. August 2011:
Soweit wir Redebeiträge zum DDR-Grenzregime anlässlich des 50sten Jahrestages des Mauerbaus verfolgt haben, wurde die Erwähnung des Einsatzes von Cs-137-Strahlenquellen an der Berliner Mauer/innerdeutschen Grenze zur Verhinderung von Personenschleusungen gemieden.