FORUM ZUR
AUFKLÄRUNG
UND ERNEUERUNG
Dr. Wolfgang Ullmann
 

 

 

 

BEISETZUNG

 

 
 


Predigt zur Beisetzung von Herrn Dr. Wolfgang Ullmann

am 23. August 2004 auf dem Sophien-Friedhof, Berlin

Von Bischof Axel Noack, Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen


Liebe Trauergemeinde,

ich habe überlegt, was für ein Bibelwort man auswählt, unter dem man auch dieses Sterben bedenkt, und ich habe die Tageslosung für den heutigen Tag ausgewählt – Montag, den 23. August 2004.
Es heißt in der Losung aus dem 1. Chronikbuch (22,19):
„So richtet denn euer Herz und euren Sinn darauf, den Herrn, euren Gott, zu suchen.“
Der Zusammenhang ist leicht erklärt, es ist der Bau des Tempels, 950 Jahre vor Christi Geburt, und König David richtet diese Rede an die versammelten Handwerker und Bauleute. Der neue Tempel wurde 400 Jahre später wieder zerstört, wieder aufgebaut, wieder zerstört - manche sagen, er wartet immer noch auf seinen Wiederaufbau. Geblieben ist Davids Wort: „So richtet denn euer Herz und euren Sinn darauf, den Herrn, euren Gott, zu suchen.“
Was David da am Beginn des großen Werkes den versammelten Bauhandwerkern zuruft, ist ein großes Programm – wer Großes schaffen will, soll Gott suchen. Wer Großes vorhat, der soll Gott um Kraft und Verstand bitten, der soll sich nach ihm ausrichten.

So wollen wir dieses Wort auch für uns hören und wir werden es ganz anders hören, wenn wir es am Sarge von Wolfgang Ullmann hören. Denn das werden ja wohl sofort alle sagen, das ist keine Frage, Wolfgang Ullmann ist einer gewesen, der hat Gott gesucht. Er war ein Gottsucher und bei ihm hat es sich aufs Glücklichste getroffen, dass er sowohl mit Herz und Sinn, mit Herz und Verstand Gott gesucht hat. Er hatte eine Herzensfrömmigkeit, er war ein von Herzen frommer Mann, und er war mit scharfem Verstand ausgestattet – aufs Glücklichste hat sich das bei ihm verbunden. Und alle, die ihn gut kennen, werden sagen, Gott hat ihn auch reich beschenkt mit Gaben, die ihm geholfen haben, solche Gottessuche mit Herz und Sinn durchzuführen. Alle, die bei ihm studiert haben, haben das immer mit Staunen zur Kenntnis genommen: diese große Sprachbegabung - und nicht nur für die alten Sprachen. Ausgerüstet, bei der Gottsuche wirklich an die Quelle gehen zu können. Ausgerüstet damit, die alten Väter, die griechischen und lateinischen Kirchenväter, zu lesen wie andere die Zeitung lesen – im Original. Und viele haben das Bild vor Augen, wenn er sich über eine Urkunde beugte, die Brille hoch schob, wo andere nur da standen und eigentlich nichts erkannten, und er las einen das vor als wäre es die Zeitung. Diese großen Gaben!
Und dann natürlich auch die Gabe, alles im großen Zusammenhang zu sehen, geschichtliche Epochen weitsichtig vor Augen zu führen. Und alle, die ihn hörten, konnten sicher sein, er hat wirklich gelesen, wovon er sprach und redete. Das sind Gaben, die Gott ihm gegeben hat. Dazu kommt natürlich die große Gabe seines mathematischen Verständnisses, die Gabe der Musik, wie oft hat er Gottlob Frege und Johann Sebastian Bach fast in einem Atemzug genannt. Die großen Logiker und die großen Musiker! Und dann sein Interesse an der Literatur. Wie vielen Menschen hat er geholfen, sich für bestimmte Bücher zu interessieren. Und nun sage keiner, bei Wolfgang Ullmann wäre es nur die hohe Kunst gewesen. Ich erinnere mich gut, dass wir auch Seminarsitzungen verkürzen mussten, weil wir ins Kino eilen wollten, wenn der neueste Film der Olsenbande aufgeführt wurde. Und er ist vor allen Dingen mitgeeilt und vorangegangen.
Freilich, das wird man sicherlich auch sagen können, manchmal hat ihm ein bisschen die Einsicht gemangelt, dass normale Studenten nicht so fließend Latein können. Das war ihm nicht verständlich. Und all die Studienreformüberlegungen, die hat er nicht betrieben - dass man Latein abschaffen könnte - er wäre nicht einmal auf den Gedanken gekommen. Und er hat auch manchmal Studenten ein bisschen überfordert, denke ich. Etwa wenn er einer Studentin eine neue Biografie über Thomas Müntzer gegeben hat und die stellt mit Entsetzen fest, dass die in Italienisch geschrieben ist, und er sagt, na ja das meiste kennt man aus dem Lateinischen und den Rest versteht man durch die Musik.
Und natürlich auch Ullmann’s Kinder, das war ja allen klar, schon als sie noch klein waren, Ullmann’s haben ihre Kinder zu Pfarrerskindern gemacht – mit allem, was das hieß, damals in der DDR. Aber alle haben auch gesagt, was die Kinder schon alles wissen, müssen, können, sollen...., was die alles schon mitkriegen.

Ich denke, wir wollen hier an dieser Stelle auch Gott ganz viel Dank sagen für diese Begabungen, die er Wolfgang Ullmann gegeben hat, und wir wollen Wolfgang Ullmann danken, dass er sie so großzügig auch für uns alle eingesetzt hat, dass er so viele Menschen daran hat teilnehmen lassen. Und so ausgerüstet konnte er natürlich ein wirklicher Gottsucher werden: mit großen Ideen und großen Entwürfen, aber auch mit ganz detaillierter Kleinarbeit an Fragestellungen, die für viele Zeitgenossen völlig hergeholt waren.

Als ich sein Assistent war, war er wesentlich damit beschäftigt, die Randkritzeleien, die Thomas Müntzer an Tertullians Schriften an den Rand geschrieben hatte, zu entziffern und zu verstehen und Thomas Müntzer’s Theologie daraus zu interpretieren.
Er ging selber an die Quellen. Und das ist das, was heute so vielen Menschen einfach nicht mehr möglich ist, weil ihnen die Voraussetzungen fehlen.
Da verlieren wir einen großen Lehrer unserer Kirche.
Aber ganz klar ist es natürlich auch, und das sieht man an seinem ganzen Werdegang, an seiner Biografie, bis zuletzt als Politiker, die Beschäftigung mit solcher Gottesfrage war ihm nicht nur – sie war es auch, aber nicht nur – intellektuelles Vergnügen, sondern die große Frage, wie „Erkennen“ und „Tun“ zusammengehören, hat ihn umgetrieben und die ganz praktischen Konsequenzen, die er aus der Suche nach Gott fürs Leben, fürs tägliche Leben – und da er die Gottesfrage als die Menschheitsfrage schlechthin verstanden hat – natürlich auch die Konsequenzen für das öffentliche, für das gesellschaftliche Leben. Und dass er sich dann so eingebracht hat in so viele politische Fragen, das hängt unmittelbar damit zusammen, das ist Ausfluss dessen, dass er Gott so gesucht, dass die Gottesfrage ihm als die Menschheitsfrage galt, die dann auch Antworten gibt fürs gesellschaftliche Leben. Das werden andere würdigen können, was er als Politiker getan hat. Und manche werde es auch gar nicht so verstanden haben und er hat auch viel Frust einstecken müssen im politischen Geschäft – das ist gar keine Frage.

Aber gerade den Schülerinnen und Schülern, seinen Studenten, hat er die Brücken geebnet, auch zum tieferen Eindringen, weil es nicht nur um Theorie ging. Er war alles andere als ein Theoriefeind, aber trotzdem wurde das Praktische immer mitgedacht. Ich muss das von mir selber sagen. Als ich zu studieren anfíng – 1969 – mit Che Guevara überm Bett und Rudi Dutschke im Herzen, da war mir die Kirchengeschichte ein völliges Graus und absolut überflüssig. Und er hat es verstanden, in die Geschichte hineinzusehen zu dem, was heute ist. Wir haben eine ganze Seminarsitzung zur Frage gestellt – kann man sich heute kaum noch vorstellen – als Extrastunde angesetzt, ist es ethisch verboten oder geboten auf der Leipziger Messe Bücher zu klauen oder nicht, wenn die Obrigkeit es verhindert, dass man die Bücher lesen darf. An solchen Fragen konnte er bis zu den Kirchenvätern durchschreiten und da schon die nötigen Quellen dazu benennen. Und was wir nicht alles mit ihm lesen und studieren können. Im Vorlesungsverzeichnis – das sollte ja gedruckt werden! – hieß es ziemlich nichtssagend „Geschichts-philosophisches Kolloquium“. Darunter hat sich viel verborgen. Das fand dann meistens in seiner Wohnung statt. Seine Frau war mit dabei, die Kinder gingen dann schon ins Bett: Ich habe nie wieder in meinem Leben vorher und nachher so viel Engels gelesen, wie in diesen Kolloquien und so heftig interessiert diskutiert über Grundfragen der Gesellschaft.
Und ich bin sicher, dass man sagen kann: wenn einer so Gott sucht mit Herz und Sinn, dann gewinnt er ein Maß an Freiheit, mit großer Klarheit und ohne Angst auf die Wirklichkeit zu blicken. Und er gewinnt die Freiheit von dem Zwang, sich selber rechtfertigen zu müssen. Und die Freiheit von diesem unter uns so verbreiteten Zwang, sich selber rechtfertigen zu müssen, ist für ihn zum Grund geworden, dass er auch frei war zum ganz aktiven Handeln und es ist zum Grund dafür geworden, dass er auch ganz frei war, zur Aufklärung der Vergangenheit ganz konsequent beizutragen. Dass er in so vielen Gremien dabei war, die sich bemüht haben, die Vergangenheit aufzuklären, das kommt aus diesem Geist, frei sein von dem Zwang, sich selber zu rechtfertigen und den bequemen Weg gehen zu müssen.

Wolfgang Ullmann und die Aufklärung – das wäre noch ein Thema ganz für sich.
Und dann natürlich das, was einen auch immer erstaunen und erfreuen kann, wie die ganz schnelle Verbindung von der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, zu der Forderung nach Gerechtigkeit in der Gesellschaft gezogen werden konnte. Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ohne Bruch zu übertragen bis hin zu sagen, das hat Konsequenzen für unser Miteinander, wie wir miteinander leben in der Gesellschaft. Sein politisches Handeln, sein ganzes Nachdenken über die Verfassung – viele werden das wissen – war von dieser Rückbindung an seinen Glauben getragen. Allerdings nicht so vordergründig, wie manche das vielleicht dachten. Ich habe das selber erfahren, dass ein Mitarbeiter des Bundestages im Wasserwerk in Bonn mich fragte: „Das müssen Sie mir mal erklären, wieso der Abgeordnete Wolfgang Ullmann als einer der wenigen, die nahezu bei jedem der christlichen Morgengebete im Bundestag dabei sind, die Streichung des Gottesbezuges in der Verfassung fordert. Wenn man dann mal dagegen fragt, warum kommen die, die Gott in der Verfassung haben wollen, so wenig zum Morgengebet ..... Aber dieses Vordergründige war es also nicht – aber in den Artikeln der konkreten Bestimmungen muss sich widerspiegeln, was Gerechtigkeit heißt - eine Gerechtigkeit, die in Gott gründet.

Wir wollen dabei nicht übersehen, es war auch ein Leben, was es nicht leicht hatte hier. Er hat viele Möglichkeiten gehabt, aber man hat es vielleicht gar nicht so gemerkt, es ist ihm sauer geworden, die letzten Jahre als Witwer zu leben – das ist ihm ganz schwer gefallen. Und ich denke auch, dass es auch die ganzen Jahre mit der Blindheit seiner Frau für ihn alles andere als leicht war, so oft weg zu müssen, nach Bonn zu fahren – er hat sich ja sehr eingesetzt, dass der Bundestag nach Berlin gekommen ist, aber er war immer noch in Bonn und in Brüssel. Und ich glaube auch, dass er – manchmal hat er das so angedeutet – im politischen Geschäft auch viele Enttäuschungen erfahren hat. Wenn man eben doch dann ganz schnell, um ein bisschen Wählergunst willen Grundsätze über den Haufen wirft, das war für ihn schwierig. Aber dann zu sagen, ich ziehe mich da raus, ich resigniere, ich gehe da gar nicht mehr hin, das war seine Sache nicht. Sondern, der Satz steht noch in einer Vorlesungsmitschrift ganz am Anfang meines Studiums: „... jede Situation, in die wir geraten, ist eine zu gestaltende Situation“. Wenn man das so sagen kann als Christ ...

Ich denke, liebe Schwestern und Brüder, wir haben großen Grund Gott zu danken für sein Leben. Wir haben großen Grund, ihm zu danken, dass er unter uns war und wie er unter uns war. Und wenn wir dieses Losungswort hören, so richtet euer Herz und euren Sinn darauf, Gott, den Herrn, zu suchen, dann sollen wir das auch heute hören. Auch als Trauergemeinde und Sie als Familie und Angehörige, als Kinder und Enkel sollen das ganz genauso hören, dass dieses Suchen nach Gott mit Herz und Sinn ein großer Grund für den Trost ist. Dort kann man Trost fest machen. Die Gott suchen, denen wird das Herz aufleben, heißt es im Psalm 69, die Gott suchen, denen wird das Herz aufleben. Das möchte ich natürlich vor allen Dingen den Angehörigen wünschen, dass sie Gott schon so gefunden haben oder immer noch suchen, dass Euer Herz auch auflebt mit dem, was man von Gott weiß und, Gott sei Dank, wenn Eltern ihren Kindern die Anfangsgründe dafür legen oder gelegt haben, dass sie Gott suchen können.

So lasst uns diese Tageslosung heute etwas anders hören, lassen Sie uns einfach frei übertragen: „So richtet gerade jetzt als Trauernde Euer Herz und Euren Sinn darauf, den Herrn, Euren Gott, zu suchen.“

Lasst uns mit ganz kindlicher Dankbarkeit vor Gott stehen und Gott preisen dafür, dass er uns Wolfgang Ullmann gegeben hat und lasst ihn uns aus dieser Dankbarkeit heraus getrost zu Grabe tragen.

Amen.